Es gibt so viele Themen, die wir angehen müssen, wenn wir ein gutes Morgen für uns alle erreichen wollen. Welche das für sie ganz persönlich sind, wo wir dabei gerade stehen und was sich bewegen muss, um endlich voran zu kommen, das haben wir dieses Mal Anetta Kahane, Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung, gefragt.
1. Was sind für dich derzeit die drei drängendsten ökologischen und/oder gesellschaftlichen Themen – und warum?
„Als ich anfing, mich um Menschen- und Minderheitenrechte zu bemühen – das war vor mehr als 30 Jahren –, war das Thema Ökologie noch nicht so drängend wie heute. Flucht und Migration sind jedoch in der Gegenwart damit eng verbunden. Ich konzentriere mich aber vor allem auf die Themen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft. Das bedeutet, dass die Konfliktlinien nicht entlang der ethnischen Herkunft gehen, sondern entlang des Engagements für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit. Jeder Mensch in Deutschland soll die Chance haben, sich unversehrt und respektiert für seine Interessen und für Gleichwertigkeit stark zu machen, egal ob er einen Einwanderhintergrund hat oder nicht. Rassismus und Antisemitismus ist für niemanden akzeptabel.”
2. Wann hast du dich das erste Mal damit auseinandergesetzt und wie hat da dein Denken und/oder Handeln verändert?
„Ich kenne das nicht anders. Meine Eltern haben gegen die Nationalsozialisten gekämpft. Sie nahmen am bewaffneten Widerstand teil. Ich bin nach dem Krieg geboren und zwar in der DDR. Es war nicht leicht, als jüdisches Kind in Deutschland aufzuwachen, auch nicht im Osten. Als ich mit dem Erwachsenwerden merkte, dass der Antifaschismus, auf den meine Eltern gebaut haben, nur hohl war und mit den Einstellungen der Leute wenig zu tun hatte, wandte ich mich von der DDR ab. In der Wendezeit konnte ich mich dann endlich offen für die Rechte der ausländischen Vertragsarbeiter und Minderheiten einsetzen. Seitdem arbeite ich daran. Denn ich kann es nicht ertragen zu wissen, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Herkunft diskriminiert und abgewertet oder gar verletzt werden. Ich muss dagegen handeln und den Opfern Sicherheit geben können.
3. Was muss sich politisch und/oder gesellschaftlich ändern, damit wir bei diesen Themen endlich vorankommen?
„Viele Menschen denken zuerst an den Staat, wenn es um Veränderungen geht. Doch der Staat kann nicht alles regeln, vor allem nicht, wenn es um gesellschaftspolitische Prozesse geht. Die zivile Gesellschaft ist hier genauso wichtig. Gegen Menschenverachtung vor Ort müssen die Bürger*innen vor Ort engagiert sein. Die Bürger*innen selbst können sich organisieren, mobilisieren und Hilfe holen – der Staat kann hier aber unterstützen, indem er Infrastruktur fördert. Einstellungen verändern sich nicht mit politischen Entscheidungen allein. Der Staat muss aber Normen setzen in der Flüchtlingspolitik, bei gesetzlichen Regelungen und durch die Strafverfolgung. Gerade bei Rechtsextremismus muss die Demokratie wirklich wehrhaft sein.
Ich wünsche mir, dass bei diesen Themen auch die Wirtschaft und Privatpersonen dabei sind. Mit Zeit, mit Spenden, mit Haltung. Gerade in Zeiten von Verschwörungsideologien und Hassattacken auf die Demokratie.”
4. Was trägst du selbst dazu bei?
„Daran weiterarbeiten. Meine Freund*innen sagen immer, ich solle auch was für mich selbst tun. Aber das fällt mir schwer, solange immer wieder Menschen wegen ihrer Herkunft oder Orientierung angegriffen werden.”
5. Wenn du für einen Tag Finanzminister*in wärst, was würdest du tun?
„Ich würde das Gemeinnützigkeitsrecht anpassen, das es heute Vereinen schwer macht, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. Und ich würde viel Geld in Bildungschancen investieren für alle Kinder in Deutschland. Dazu gehören auch Bildung in Sozialen Medien, Debattenkompetenz und Sensibilisierung gegen Antisemitismus und Rassismus. Und das für alle – zumindest für alle, die für den öffentlichen Dienst arbeiten.
Ich würde das Diskriminierungsverbot durchsetzen. Auch dafür braucht es Geld. Selbstverständlich würde ich dafür sorgen, dass die guten und klugen Projekte auch in der Breite gefördert werden.”
6. Wer inspiriert dich, wenn es darum geht, positive Veränderung zu schaffen – und warum?
„Mich inspiriert, wenn Erfolge sichtbar werden, wenn Dinge sich positiv verändern. Das geschieht oft, nur dass die Öffentlichkeit dies selten wahrnimmt. Mich inspiriert, wenn in Regionen, die von rechtsextremen Strömungen dominiert werden, plötzlich Initiativen entstehen, die das Klima mit der Zeit ändern. Wenn Leute alte Vorurteile aufgeben, inspiriert mich das auch. Es gibt vieles, was man tun kann, und wenn es funktioniert, dann ist es toll, die Möglichkeit zu haben, dies auch an anderen Orten, in anderen Kontexten anzuwenden. Und ehrlich gesagt, inspiriert mich unsere Zeit. sie ist komplex und konfliktreich. Aber sie ist auch dynamisch und voller Chancen.”
7. Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, sehe ich …
„… mehr Anstrengungen, mehr Aktivitäten, mehr Mühe, um gegen die Herausforderungen von Klimawandel und sich verändernden Gesellschaften anzukommen. Aber ich sehe auch weniger von den alten Übeln dieser Welt wie Hunger, Krieg, Mangel an Gesundheit und Bildung. Ich sehe Fortschritt. Pessimismus können wir uns nicht leisten.”
8. Worauf willst du persönlich gerne zurückblicken können, wenn du älter bist?
„Dass ich Menschen inspiriert habe. Dass ich einige Wege geöffnet habe gegen Antisemitismus und Rassismus.“
9. Eine Sache, die mir immer wieder Mut macht, ist …
„…wenn in unserer Stiftung die Leute trotz der harten Aufgaben, trotz der Anfeindungen und massiven Bedrohungen, die wir ständig auszuhalten haben, freundlich sind; dass sie warmherzig miteinander umgehen, dass sie trotz allem gern bei uns arbeiten.
10. Welchen Tipp hast du für alle, die Veränderung anstoßen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen können?
„Nicht jeder kann Workshops durchführen oder in Vereinen aktiv sein. Mein Tipp ist: Machen Sie sich schlau zu den Themen, die Sie bewegen. Finden Sie eine Organisation, die in Ihrem Sinne arbeitet und engagieren Sie sich dort. Und wenn es mit einer Spende ist. Das ist sehr ermutigend und inspirierend für alle, die dort arbeiten. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.”
Hinweis: Für alle, die die Amadeu Antonio Stiftung und ihre Arbeit gegen Rassismus, Antisemtismus und Rechtsextremismus unterstützen wollen: Wir haben derzeit ein Spendenfeature in die App integriert, mit dem ihr das mit einem Klick machen könnt.