Es gibt so viele Themen, die wir angehen müssen, wenn wir ein gutes Morgen für uns alle erreichen wollen. Welche das für sie ganz persönlich sind, wo wir dabei gerade stehen und was sich bewegen muss, um endlich voran zu kommen, das haben wir Avocadostore-Geschäftsführerin Mimi Sewalski gefragt.
1. Was sind für dich derzeit die drei drängendsten ökologischen und/oder gesellschaftlichen Themen?
„Der Erhalt der Biodiversität, die Ernährung der Zukunft, das Spannungsfeld von Digitalisierung und Nachhaltigkeit“
2. Wann hast du dich das erste Mal damit auseinandergesetzt und wie hat da dein Denken und/oder Handeln verändert?
„Ich habe mich schon immer sehr für Natur- und Umweltschutz interessiert, vielleicht, weil ich auf dem Land groß geworden und als Kind durch die Wälder gestreift bin. Damals war bereits bekannt, welche Auswirkungen unser Verhalten auf die Natur hat. In den 80ern ging es in den Medien und in der Politik zumindest eine Zeit lang relativ viel um FCKW, Ozonloch, sauren Regen und Waldsterben. Als Kind habe ich mich gefragt, warum Spraydosen nicht schneller verboten werden, wenn doch klar ist, was sie verursachen. Später habe ich mich dann gefragt: Warum muss ich als Konsument*in das Produkt selbst boykottieren? Das ginge doch anders viel schneller. Als Konsequenz hinterfrage ich meinen eigenen Konsum so oft wie möglich: Wie wird das Produkt hergestellt? Wo wird es hergestellt? Welche Konsequenzen, global oder auf die Umwelt, hat mein Kauf? Und auch: Brauche ich das Produkt wirklich?
Liefer- und Produktionsketten sind eine sehr komplexe Angelegenheit, natürlich kann man diese Fragen nicht immer und dauernd beantworten. Aber ich merke, dass ich in den letzten Jahren auf folgende Lösung für mich gekommen bin: Weniger, aber besser. Das heißt, wenn ich etwas kaufe, achte ich viel mehr auf Qualität als früher und ich kaufe auch insgesamt weniger. Ich informiere mich besser, bevor ich etwas kaufe und versuche Impulskäufe so gut es geht zu vermeiden. Die Dinge, die ich kaufe, sind dann teurer, aber ich erkenne auch den Wert dahinter. Es ist mir monetär durchaus etwas wert, zu wissen, ein Produkt ist nachhaltig und fair hergestellt worden oder mit meinem Kauf bewirke ich etwas Positives.“
3. Was muss sich politisch und/oder gesellschaftlich ändern, damit wir bei diesen Themen endlich vorankommen?
„Meine Oma hat mal gesagt: Wenn du etwas willst, findest du eine Lösung, wenn nicht, dann siehst du nur Probleme. Das passt sehr gut zu deiner Frage. Ich denke, die Prioritäten müssten sich verschieben. Die Dringlichkeit der Klimapolitik oder anderen Themen wie Gleichberechtigung oder Menschenrechte und vieles mehr, ist oft einfach nicht hoch genug. Aus meiner Sicht müssten Themen mehr Priorität haben, die es jetzt eben nicht haben. Für mich ist erstaunlich, dass beispielsweise der Kohleausstieg so auf die lange Bank geschoben wird, denn gerade für alle Themen rund um den Klimawandel gibt es viele wissenschaftliche Zahlen, Fakten und Studien, die belegen, dass diese Themen sehr hohe Relevanz haben müssten, denn die gesellschaftlichen, ökologischen und auch ökonomischen Konsequenzen des Nicht-Handelns sind weitaus höher, als die Themen jetzt anzugehen.“
4. Was trägst du selbst dazu bei?
„Ich versuche, über das Thema Nachhaltigkeit zu reden – auch da, wo es unangenehm wird, zum Beispiel in der eigenen Familie oder bei Freund*innen oder auch im beruflichen Kontext, wo es vielleicht nicht sofort erwartet wird. Der Zeigefinger bringt da nichts, meine Methode ist, zu inspirieren, ohne zu nerven. Zugegeben, das ist auch nicht immer so einfach. Außerdem versuche ich mich für Naturschutz und Artenvielfalt einzusetzen. Was auch nicht viel Zeit und Geld kostet, ist NGO’s und Vereine monetär zu unterstützen – und wenn es nur fünf Euro im Monat sind. Bankeinzug eingerichtet, fertig! Hier unterstütze ich u.a. den Nepada Wildlife e.V., Greenpeace und noch ein paar andere. Ansonsten versuche ich meinen Lebensstil so zu gestalten, wie oben schon beschrieben: Weniger ist mehr, das heißt bewusster konsumieren, insgesamt weniger. Ich trage fast nur Eco-Label und versuche mich soweit es geht mit Bio-Lebensmitteln zu ernähren, fahre innerhalb Europas nur Bahn, schaffe es aber nicht immer so gut, Lebensmittelreste zu vermeiden und auch beim Thema Finanzen ist meine Altersvorsorge noch nicht komplett nachhaltig.
Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht ein Prozess, bei dem jede*r für sich entscheiden sollte, wann er welchen Schritt geht. Jeder Schritt zählt und ich glaube auch, dass alle, die den Prozess starten, eher vorwärts als rückwärts gehen. Wer also einmal weiß, was in herkömmlicher Fleischproduktion geschieht, wird tendenziell eher bereit sein, auf Bio-Fleisch oder vegane Produkte umzusteigen und wohl kaum wieder ‚rückfällig‘ werden, denn die Person hat ja sehr bewusst eine Entscheidung getroffen. Von den Lebensmitteln kommt man dann zur Mode und von da vielleicht zum Banking oder andersrum. Die Reihenfolge kann ja jeder für sich entscheiden, ebenso das Tempo.“
5. Wenn du für einen Tag Finanzminister*in wärst, was würdest du tun?
„Ich würde wahrscheinlich an das Thema Steuer gehen und die Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen höher besteuern, die nachweislich schlecht für unser Klima und den Planeten sind. Gleichzeitig würde ich die Steuer für fair gehandelte und umweltfreundliche Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen senken. Die Schwierigkeit liegt dann natürlich in der Definition ‚gut‘ und ‚schlecht‘, aber dafür hätte ich ein ausgewähltes Expert*innenteam, denen was Schlaues dazu einfallen wird.“
6. Wer inspiriert dich, wenn es darum geht, positive Veränderung zu schaffen – und warum?
„Mich inspirieren viele einzelne Menschen, mit kleinen Dingen. Z.B. der Obdachlose auf meinem Weg zur Arbeit, der wirklich jeden Morgen strahlend dasteht und verdammt nett zu mir ‚Na, wie geht’s dir heute?‘ sagt, obwohl er selbst seit Stunden im Regen steht. Mich inspirieren die vielen kleinen Initiativen, die mit wenig Budget aber viel Idealismus einfach mal machen und damit erstaunlich viel erreichen. Und mich inspiriert der globale faire Handel, der momentan zwar nicht als sehr ‚cool‘ wahrgenommen wird, aber in den letzten Jahrzehnten soviel Großes erreicht hat und cooler ist als viele ahnen.“
7. Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, sehe ich …
„…dass wir uns alle fragen werden, warum haben wir damals nicht mehr getan? Ich sehe aber auch, dass sich vieles verändert haben wird und beispielsweise Konsum, Ernährung und Mobilität nicht mehr als selbstverständlich hingenommen, sondern wertschätzend empfunden werden. Was auch daran liegen wird, dass sich diese drei Bereiche stark verändern werden. Hoffentlich zum Guten, mit fairen und umweltfreundlichen Produktionsketten, eine Landwirtschaft, die mehr auf pflanzliche Ernährung und Erhaltung der Biodiversität setzt, und eine Mobilität, die uns das ‚sowohl als auch‘ ermöglicht. Etwa durch Fortbewegung und nachhaltiger Tourismus, ohne den Klimawandel anzuheizen und Menschen und Tiere zu belasten. Auch glaube ich, dass sich unser digitales Verhalten ändern muss, weil es verdammt viel Energie verbraucht. Hier wird es mehr nachhaltige Lösungen für Server und Speichermöglichkeiten geben.“
8. Worauf willst du persönlich gerne zurückblicken können, wenn du älter bist?
„Auf viele gute Gespräche und Begegnungen, auf Aktivität statt Passivität, auf Lösungsansätze und nicht nur Bedenken und letztendlich auf all die kleinen Entscheidungen, die ich jeden Tag aufs Neue treffe, die erstmal belanglos wirken und dann doch hoffentlich in der Summe viel bewirkt haben.“
9. Eine Sache, die mir immer wieder Mut macht, ist ….
„…wie mächtig wir als Konsument*innen sind. Ein schönes Beispiel ist die Modebranche. Seit etwa zehn Jahren gibt es mehr und mehr Eco-Brands, die alles geben, um die Branche zu revolutionieren. Von den Großen anfangs noch belächelt, sind sie inzwischen zu richtigen Topmarken herangewachsen, die beweisen, es geht beides: coole Styles und nachhaltige Produktion. Mal abgesehen davon, dass diese Brands einen tollen Job machen, haben alle, die nachhaltig konsumieren, zu dieser Entwicklung beigetragen. Denn nicht nur das Angebot, sondern auch die Nachfrage bestimmen den Markt. Inzwischen überlegen sehr viele der herkömmlichen Marken, wie sie mit dem Thema Nachhaltigkeit umgehen. Warum ist das so? Weil ‚Eco‘ im Trend ist – ich persönlich glaube, es ist mehr als ein Trend – und weil wir mehr und mehr hinterfragen und bewusster einkaufen. Der Anteil nachhaltiger Mode insgesamt liegt zwar noch unter fünf Prozent, aber trotzdem tut sich langsam was in der Modebranche.“
10. Welchen Tipp hast du für alle, die Veränderung anstoßen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen können?
„Genau zu der Frage habe ich gerade mit ‚Nachhaltig leben JETZT!‘ ein Buch veröffentlicht. Nach fast zehn Jahren bei Avocadostore habe ich so oft die Gegenargumente gehört: ‚Bio ist zu teuer‘‚nachhaltig zu leben ist sehr aufwendig‘, oder ‚Grüne Produkte haben immer einen Nachteil‘, etc… In meinem Buch will ich Fakten und Hintergründe zeigen und diese ganzen Vorurteile ausräumen, weil ich fest davon überzeugt bin, dass Nachhaltigkeit immer auch mit Information zu tun hat. Wenn ich es in einen Tipp packen muss, würde ich sagen: Klein anfangen und sich nicht zu viel vornehmen, denn dann ist man schnell demotiviert oder enttäuscht von sich selbst. Also etwa zu sagen, ‚ich werde nie wieder fliegen‘ fällt einem sicherlich schwerer als zu sagen ‚dieses Jahr fahre ich mal mit dem Nachtzug in den Urlaub statt mit dem Billigflieger‘. Gut ist auch, herauszufinden, wo es einem leichter fällt und dort anzufangen. Für mich war es relativ spannend und hat mir sogar großen Spaß gemacht, mich mit richtigem Recycling, Müllvermeidung und unverpacktem Einkaufen zu beschäftigen, jemand anderes interessiert sich vielleicht mehr für Naturkosmetik oder Energiesparen. Nach jedem Schritt folgt der nächste, wichtig ist, dass man sich traut, irgendwo anzufangen.“