Es gibt so viele Themen, die wir angehen müssen, wenn wir ein gutes Morgen für uns alle erreichen wollen. Welche das für sie ganz persönlich sind, wo wir dabei gerade stehen und was sich bewegen muss, um endlich voran zu kommen, das haben wir Fashion Changer-Gründerin Vreni Jäckle gefragt.
Was sind für dich derzeit die drei drängendsten ökologischen und/oder gesellschaftlichen Themen?
Als Fashion Changers-Gründerin beschäftige ich mich natürlich viel mit der Modeindustrie. Derzeit als sehr spannend empfinde ich die Diskussion um kreislauffähige Mode. Die ist nicht wirklich neu – es gibt viele Akteur*innen, die schon jahrelang am Thema arbeiten – aber gefühlt gibt es einen neuen Aufschwung, der interessant ist. Zum einen entsteht gerade eine Dynamik, in der Kreislauffähigkeit teilweise von Fast Fashion-Konzernen gerne für Greenwashing genutzt wird. Zum Beispiel wenn Marken immer wieder sagen „lasst uns den Kreislauf schließen“, aber unklar ist, was sie eigentlich genau dafür tun. Und zum Anderen muss auch die Öko-Mode-Bubble sich gerade mal ernsthaft umsehen und schauen: Wie packen wir es denn wirklich an, mit der Kreislauffähigkeit?
Es reicht nicht mehr nur zu sagen: Du kannst hier deine Jeans reparieren. Oder: Wir recyceln so viel wir können. Kreislauffähigkeit in der Mode muss in alle Bereiche und auf alle Ebenen, wenn wir die Probleme mit den Kleiderbergen wirklich lösen wollen. Wir brauchen mehr Re-Use, mehr echtes Recycling – und nicht etwa Downcycling zu Putzlappen oder Isoliermaterial –, sondern viel weniger von quasi allem, neue Verfahren und mehr genaues Hinschauen. Im Gespräch mit Expert*innen fällt uns in unserer Arbeit nämlich immer wieder auf, dass es dafür auch mehr Vernetzung braucht. Ein kleines Modelabel, das vieles richtig machen will, hat nur einen bestimmten Wirkungsgrad und erreicht oftmals die Mindestmengen überhaupt nicht, um kreislauffähiger zu werden.
Und wir müssen fragen: Wie genau läuft das eigentlich, wenn Unternehmen xy plötzlich „kreislauffähig“ geworden ist? Leider passiert es nämlich auch immer wieder, dass Unternehmen von ihren Lieferant*innen fordern, dass diese neue Standards umsetzen, aber bei der Umstellung nicht unterstützen und sogar drohen Aufträge zu entziehen. Was das Entziehen von Aufträgen in der Textilbranche auslösen kann, haben wir erst seit Corona leider wieder beobachten müssen. Es ist wie so häufig: kompliziert!
Ich könnte noch so viele Themen mehr nennen, zum Beispiel ein neues Mainstream-Aufkommen von Secondhand-Kleidung oder natürlich auch aus ganz anderen Bereichen: Was macht die Corona Pandemie eigentlich mit unseren Freund*innenschaften und den Vorstellungen vom guten Leben?
Wann hast du dich das letzte Mal damit auseinandergesetzt und wie hat da dein Denken und Handeln verändert?
Wir haben vor Kurzem eine kleine Reportage auf Instagram zum Thema Kreislauffähigkeit gemacht, im Fashion Changers Magazin einen Text dazu veröffentlicht und auch ein E-Book zum Thema Polyester-Recycling herausgebracht. Da waren für mich auch einige neue Erkenntnisse dabei. Und es hat meine Sichtweise auf die Fair Fashion Branche verkompliziert. Denn: Die macht schon Vieles wirklich gut und ich wünschte mir, dass Vieles davon bald einfach gängige Praxis ist und trotzdem musste ich auch nochmal feststellen, dass das noch nicht reicht.
Was vor zehn Jahren als ökologisches Handeln in der Modebranche galt, ist nicht mehr genug, denn die Wahrheit, vor der wir uns alle gefühlt immer noch versuchen zu drücken, ist: Wir produzieren zu viel und obwohl es manchmal so wirkt, als wäre Secondhand, Reparieren und Re-Use jetzt im Mainstream angekommen, stimmt das nicht wirklich. Die Anzahl der Kleidungsstücke, die produziert werden, wächst nämlich weiter.
Was muss sich politisch und gesellschaftlich ändern, damit wir bei diesen Themen endlich vorankommen?
Wir brauchen meiner Meinung nach politische Anreize für nachhaltiges Wirtschaften. Es kann einfach nicht sein, dass Unternehmen, die es besser machen wollen, wirtschaftliche Nachteile haben. Es kann nicht sein, dass sich Profit darauf stützt, dass Menschen in der Lieferkette unter schlechten Bedingungen arbeiten. Es kann nicht sein, dass es für Unternehmen günstiger ist, Kleidung zu verbrennen als sie zu recyceln. Das Lieferkettengesetz, das leider in den letzten Monaten sehr stark verwässert wurde und bei dem sich noch zeigen muss, ob und inwieweit es wirklich Mensch und Umwelt schützen kann, kann dafür ebenfalls nur ein Anfang sein. Wie ganz genau politische Anreize aussehen sollten, müssen Politiker*innen erarbeiten. Am besten lassen sie sich dabei nicht so stark von der Wirtschaftslobby beeinflussen wie beim Lieferkettengesetz.
Wenn man noch weiter rauszoomt, müssen wir uns natürlich auch fragen, inwieweit kapitalistische Strukturen überhaupt im Zusammenspiel mit Klimaschutz und globaler Gerechtigkeit funktionieren können und ob wir – selbst mit Regularien und Anreizen – trotzdem immer an Grenzen kommen.
Was trägst du selbst dazu bei?
Vieles von unserer Arbeit richtet sich danach aus. Wir stützen uns auf drei Säulen: Wir wollen 1. inspirieren und aufklären mit unserem Magazin und unseren Social Media Kanälen, 2. vernetzen und weiterbilden mit unseren Events und Weiterbildungsangeboten wie Onlinekursen, unserem Newsletter und E-Books und 3. sind wir mode-aktivistisch unterwegs, das heißt, dass wir uns gemeinsam mit anderen engagierten Einzelpersonen und NGOs und Organisationen austauschen, gemeinsam Aktionen starten und die Aktionen von anderen unterstützen, zum Beispiel Petitionen oder Demonstrationen.
Auf ganz persönlicher Ebene: Ich kaufe ausschließlich Vintage, Secondhand oder Fair Fashion, achte auf gute Kleiderpflege, lasse Dinge reparieren, kümmere mich um jedes einzelne Teil, das ich nicht mehr haben will und schaffe mir bevorzugt Kleidung an, die nicht aus Mischfasern besteht. Ich denke aber nicht, dass man erst all das tun muss, damit man mitreden darf oder sich einsetzen kann. Der persönliche Konsum und Umgang mit Kleidung hat zwar einen Effekt, wichtiger finde ich aber, dass sich auf größerer Ebene etwas ändert und man sich – sofern man kann – dafür einsetzt.
Wenn du für einen Tag Finanzminister*in wärst, was würdest du tun?
Den Leuten besser zuhören. Und zwar nicht nur denen, die in der gleichen Bubble schwimmen, sondern möglichst vielen verschiedenen Leuten. Und dann das Gehörte tief in mich reinsickern lassen und es meine Arbeit verändern lassen. Das gilt eigentlich für alle Minister*innen-Posten. Ich wünsch mir weniger Macht-(Wahl)-Kämpfe und mehr das, was man eigentlich idealerweise von Politiker*innen erwarten kann, nämlich dass sie im besten Interesse der Menschen handeln, von denen sie gewählt wurden.
Wer inspiriert dich, wenn es darum geht, positive Veränderung zu schaffen – und warum?
Es gibt so viele Menschen, die wichtige Arbeit machen. Mich inspirieren alle, die nie aufhören, aktiv für mehr Gerechtigkeit einzustehen. Das ist so wichtig und gleichzeitig so schwer. Vor allem auch, weil sich viele ja nicht aussuchen, aktivistisch zu werden, sondern es aus einer unerträglichen Ungerechtigkeit heraus entsteht. Das hat zwar nichts mit Mode zu tun, aber sehr viel mit der Zukunft: Ich finde die Initiative 19. Februar in ihrer Arbeit sehr unterstützenswert und beeindruckend.
Wenn ich mir die Zukunft vorstelle, sehe ich ...
noch sehr viel Schwieriges auf uns alle zukommen. Ich bin absolut kein Fan davon, die Klima-Apokalypse an die Wand zu malen, denn ich glaube nicht, dass uns diese Vorstellung weiterbringt. Aber ich denke auch, dass es helfen kann, sich keine Illusionen zu machen. Es wird nicht einfach irgendwie alles gut werden, magischerweise. Positive Entwicklungen sind immer harte Arbeit.
Worauf willst du persönlich gerne zurückblicken können, wenn du älter bist?
Auf ein unbequemes, aber zufriedenes Leben, in dem Arbeit nicht alles war und es viele gute Beziehungen und Abenteuer gab. Frag mich am besten in 20 Jahren nochmal, ob das ein realistischer Wunsch ist.
Eine Sache, die mir immer wieder Mut macht, ist ….
Ganz pragmatisch und anknüpfend an die Frage davor: Zeit mit Freund*innen – so sehr!
Welchen Tipp hast du für alle, die Veränderung anstoßen wollen, aber nicht wissen, wo sie anfangen können?
Wenn’s um nachhaltige Mode geht: Unser Buch lesen, haha! In „Fashion Changers – Wie wir mit fairer Mode die Welt verändern können“ haben wir einen großen Rundumschlag zu sehr vielen Themen gemacht und es ist genau das: ein Anfang, um ins Thema zu kommen. Darin geben wir auch sehr viele Tipps, wie man anfangen kann, aber auch was man sonst noch alles wissen sollte und welche verschiedenen Ansätze es gibt, um mit Mode einen positiven Beitrag zu leisten.
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