Im Zuge der Corona-Krise sind aktuell auch die Missstände innerhalb der Fleischindustrie in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Und einmal mehr wird deutlich: Hier muss sich dringend etwas ändern – für Mensch und Tier.
Pro Jahr werden 763 Millionen Tiere in deutschen Schlachthöfen geschlachtet und verarbeitet. Das sind über zwei Millionen Tiere pro Tag und bis zu 30.000 davon alleine im größten Betrieb von Tönnies. Jener Fleischbetrieb, in dem es in den letzten Wochen zu massenhaft Corona-Infizierten kam, die die Zustände für die Arbeiter*innen und die Tiere gerade so deutlich in das öffentliche Interesse rücken, wie es selten der Fall war. Es ist das Schlaglicht der Krise, das auch hier aufdeckt, was man eigentlich schon hätte wissen können – wenn man denn wollte:
Die Fleischindustrie hat sich zu einem System entwickelt, in dem der Umgang mit Mensch und Tier dem Ziel des größtmöglichen Profits offensichtlich bis weit über den Anschlag hinaus untergeordnet wurde. Unternehmerische Verantwortung? Fehlanzeige. Und auch die Politik hat das Thema immer wieder zur Seite geschoben. Jetzt aber, wo sich die Meldungen zu Corona-Ausbrüchen in Fleischbetrieben mehren, kommen Fragen auf, die das deutlich erschweren. Allen voran jene danach, warum sich das derzeit so eindeutig auf eine Branche konzentriert.
Wie sehen die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie aus?
Grund hierfür sind einerseits die kalten Temperaturen, die die Ausbreitung des Virus begünstigen, das Arbeiten auf engstem Raum, so dass Abstand halten einfach nicht möglich ist und die Transporte in den Bussen zu den Betrieben, während denen die Menschen eng gedrängt beieinander sitzen. Aber es geht auch um Zustände, die weit darüber hinausführen und über die immer wieder berichtet wird: Etwa die Überarbeitung durch zahlreiche Überstunden, die auf Lohnzetteln dann noch nicht einmal mehr auftauchen. Das Arbeiten, auch wenn man krank ist, aus Angst vor einer Kündigung. Oder über Unterbringungen, in denen mehrere Menschen auf wenigen Quadratmetern leben – und dafür auch noch einen hohen Anteil des bereits geringen Lohns abgeben müssen.
Möglich machen das Werkverträge, die die Arbeitnehmer*innen mit Subunternehmen abschließen, um dann in Betrieben zu arbeiten, in denen sie nicht direkt angestellt sind. Und das führt offensichtlich auch dazu, dass sich niemand in der Fürsorgepflicht für sie sieht.
Für billiges Fleisch werden Kosten einfach rausgerechnet
Wenn man den aktuellen Vorfällen wenigstens etwas Gutes abgewinnen möchte, was schon schwer genug fällt, dann vielleicht, dass nun auch vielen Menschen deutlich wird, die sich mit dem Thema Fleisch bisher nicht ausführlich auseinandergesetzt haben, dass es so etwas wie Billigfleisch überhaupt nicht gibt. Denn um Fleisch so dermaßen günstig zu produzieren, wie man es dann in den Supermärkten und Discountern kaufen kann, fallen die Kosten, wie die Verletzung des Tierwohls, der hohe CO₂-Ausstoß durch Massenhaltung, die Folgen für das Klima sowie die Ausbeutung von den Menschen, die das Fleisch verarbeiten, einfach unter den Tisch.
Aber auch der Blick über Deutschland hinaus ist wichtig, um die Problematik von Fleisch als Massenware in einem globalen System zu verstehen. Etwa auf die Sojaplantagen in Afrika, Asien und Lateinamerika, die einen großen Teil des Futters für die Massenhaltung liefern. Denn für den Anbau sind enorme Landflächen notwendig, so dass dafür nicht nur Kleinbäuer*innen vertrieben werden und damit ihre Einkommensgrundlage verlieren, sondern auch Fläche für den Anbau für die menschliche Ernährung vor Ort wegfällt.
Wie kommen wir weg vom „Billigfleisch“?
Aber wer muss nun in die Pflicht dafür genommen werden, damit sich etwas ändert? Die Antwort ist komplex. Denn an einem Tier wird nichts mehr verdient, hört man aus der Landwirtschaft und deshalb wird auf industrielle Massentierhaltung gesetzt, um noch rentabel zu arbeiten. Die Fleischbetriebe schieben die Verantwortung wiederum auf die Supermärkte, die die Preise diktieren oder sie drücken die Preise gleich selbst, um sich ihre Marktmacht zu erhalten. Die Supermärkte zeigen wiederum mit dem Finger auf die Verbraucher*innen, die einfach nicht genügend Geld für das Fleisch bezahlen wollen. Und auch die Politik stimmt in diesen Chor nur allzu schnell ein, indem sie vor allem an den Willen der Käuferschaft appelliert. Denn mit der Fleischindustrie habe man sich schließlich schon auf freiwillige Vereinbarungen geeinigt…
Und ja, natürlich ist die Rolle der Verbraucher*innen wichtig. Wir alle haben mit unseren Lebensmitteleinkäufen eine Entscheidungsmacht. Und sich dagegen zu entscheiden, „Billigfleisch“ zu kaufen oder gleich ganz auf Fleisch zu verzichten, um dieses System nicht zu unterstützen, ist einerseits auf ethischer Ebene richtig und hat andererseits Wirkung. Das zeigt sich etwa auch an der rasant gestiegenen Auswahl an Fleischersatzprodukten. Es gäbe sie nicht, wenn keine Nachfrage da wäre.
Aber zur Wahrheit gehört auch: Während sich dieses Sortiment ausgebaut hat und es immer mehr vegetarisch oder vegan lebende Menschen gibt, ist die Fleischproduktion trotzdem kaum zurückgegangen. Wir produzieren in Deutschland sehr viel mehr Fleisch als wir pro Kopf durchschnittlich essen. Denn der Überschuss wird einfach exportiert – etwa nach Afrika. Und das hat wiederum Auswirkungen für die lokale Fleischindustrie, die mit diesen Preisen nicht mithalten kann. Unsere Billigfleischproduktion macht also auch hier andere Märkte kaputt.
Was sich jetzt bewegt – und was nicht
Für eine echte Veränderung braucht es neben der eigenen Verantwortung vor allem den politischen Hebel. Und der wird nun offensichtlich endlich mit einem Verbot von Werkverträgen angesetzt, die sich nicht mit unserem Arbeitsrecht vereinbaren lassen. Auch an die Tiere soll nun gedacht werden. So hat Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner die Industrie am 26. Juni zu einem „Fleischgipfel“ zusammengerufen und als Ergebnis ein Preiswerbeverbot und wiederholt eine „Tierwohlabgabe“ in den Raum gestellt. Immerhin. Aber ob die Maßnahmen wirklich kommen, was sie bringen und wer das kontrolliert?
Denn wenn mit einer zusätzlichen Abgabe das Fleisch zwar teurer, aber dadurch die Taschen der Unternehmer*innen nur voller, die Tiere aber kein besseres Dasein haben, ist damit auch nichts gewonnen. Und wie wäre es etwa mit einer Klimaschutzabgabe? Schließlich trägt die weltweite Tierhaltung mit rund 20 Prozent der Treibhausgasemissionen enorm zur globalen Erwärmung bei. Oder wie können wir das sozial gerecht gestalten? Es muss bei diesem Thema dringend auf die gesamte Verarbeitungs-, Liefer- und Wertschöpfungskette geschaut werden, statt sich einfach nur Details rauszupicken.
Man sollte sich aber darüber hinaus auch ganz grundsätzlich fragen, warum es in unserem Land (er-)tragbar scheint, dass Menschen, die finanziell schwach sind, durch beengte Wohn- und Arbeitsverhältnisse einem so ungleich höheren Risiko zu erkranken ausgesetzt sind. Wo ist hier die Solidarität, die in den letzten Wochen immer wieder so vehement eingefordert wurde?
Für uns bei Tomorrow ist jedenfalls seit Beginn an klar: Anders als bei herkömmlichen Banken fließt bei uns kein Cent in Massentierhaltung. Denn wir investieren gemeinsam mit Euch in die Zukunft, nicht in ein kaputtes System.