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Interview mit Prof. Dr. Alexander Bassen: Perspektive zur EU-Taxonomie und nachhaltigen Investitionen

Veröffentlicht am 9. Juli 2023

Wie kann die Finanzindustrie Net-Zero erreichen? Ist die EU-Taxonomie ein echter Hebel, um Geld in die richtige Richtung zu lenken? Wir haben einige Fragen an Prof. Dr. Alexander Bassen, Professor für Kapitalmärkte und Unternehmensführung an der Universität Hamburg und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), gestellt.

Prof. Dr. Alexander Bassen

Seit fast 20 Jahren engagiert sich Prof. Dr. Alexander Bassen für die Entwicklung nachhaltiger Finanzen, sei es als Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) oder aktuell im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit im Rahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Da Tomorrow untersucht, welche Hebel einen maximalen positiven Einfluss im Finanzsektor haben können, haben wir uns gedacht, dass ein Austausch mit Professor Bassen neues Licht auf das Thema werfen würde - sowohl für uns, als auch für unsere Community. Wir haben ihm fünf wichtige Fragen dazu gestellt, wie nachhaltige Finanzen in der Mitte der Gesellschaft etabliert werden können.

Tomorrow: Um ein nachhaltiges und widerstandsfähiges System aufzubauen, müssen wir erfolgreich zu einem nachhaltigeren Finanzsystem übergehen. Was kann die Finanzbranche Ihrer Meinung nach tun, um der Gesellschaft und der Wirtschaft dabei zu helfen, Net-Zero zu erreichen?

Alexander Bassen: In unserem Bericht des Sustainable-Finance-Beirats mit dem Titel "Shifting the trillions" schlagen wir einige wichtige Lösungen für die Verteilung von Kapital in ESG-Anlagen (Environmental, Social, Governance) vor. Die globalen Herausforderungen, die wir angehen müssen, werden derzeit hauptsächlich von den Regierungen verhandelt. In Anbetracht der Bedürfnisse der Schwellenländer, z.B. bei der Verbesserung der Gesundheitsversorgung, dem Übergang zu einer umweltfreundlichen Energieinfrastruktur und erschwinglichem Wohnraum, ist es für öffentliche Akteure derzeit unmöglich, diese notwendigen Veränderungen allein durch öffentliche Investitionen zu finanzieren. Dies wird durch die Einrichtung von Fonds wie dem Green Climate Fund noch unterstrichen. Um eine Chance zu haben, Net-Zero zu erreichen, ist es entscheidend, dass Unternehmen ihr Handeln grundlegend ändern und private Investoren aktiv in die Umsetzung der Ziele des Pariser Abkommens eingebunden werden.

Tomorrow: Es kann manchmal frustrierend sein, dass die meisten der heute angebotenen Investitionen zwar darauf ausgerichtet sind, Schäden für die Umwelt und die Gesellschaft zu vermeiden, jedoch scheint es sehr schwierig zu sein, Möglichkeiten zu finden, die einen echten zusätzlichen Impact erzielen. Welches sind in Ihren Augen die effektivsten Hebel, um mit Investitionen eine zusätzliche Wirkung zu erzielen?

Alexander Bassen: Ich war früher Mitglied der G7 Impact Taskforce* und habe dort gesehen, dass die Terminologie wichtig ist. Der Begriff “Impact” wird seit mehr als 20 Jahren verwendet. Um die Wirkung für Investitionen anwendbar zu machen, unterscheiden wir zwischen wirkungsorientierten und wirkungserzeugenden Investitionen. Aktienanlagen sind in der Regel wirkungsorientiert. Wir haben zum Beispiel für die Vereinten Nationen einen an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainability Development Goals - SDG) ausgerichteten Index entwickelt und den Begriff Wirkungsorientierung verwendet, weil er am besten beschreibt, was der Index tut: er schafft keinen zusätzlichen Wert, ist aber auf bestimmte Ziele ausgerichtet. Eine wirkungserzeugende Investition ist etwas anderes: sie ist mit Additionalität (Additionality) verbunden, aber mit einfachem "Stockpicking" ist es sehr schwierig, Additionalität zu erreichen. Was von Bedeutung sein kann und wo jede*r die Chance hat, eine Rolle zu spielen, ist das Engagement. Engagement als Aktionär*in oder Aktionärsgruppe bestimmt die Agenda der Unternehmen, bringt verdeckte Themen ans Licht und ermöglicht es, echte Veränderungen zu bewirken. Auch Divestment kann wirksam sein. Dabei handelt es sich im Grunde um die Entscheidung, Unternehmen oder Projekte nicht mehr zu unterstützen, mit denen man nicht einverstanden ist und die wahrscheinlich schädlich für die Umwelt und die Gesellschaft sind oder die keine gute Unternehmensführung aufweisen. Anleihen sind etwas ganz anderes, da man auch mit der Investition selbst etwas bewirken kann, insbesondere bei der Emission.

Tomorrow: Können Sie uns etwas über Ihre Perspektive auf die EU-Taxonomie und ihre neuesten Entwicklungen darlegen?

Alexander Bassen: Die Taxonomie ist ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der 6 festgelegten Umweltziele:

  1. Klimaschutz

  2. Anpassung an den Klimawandel

  3. die nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen

  4. der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft

  5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung

  6. der Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Dabei wird der Grundsatz der "Vermeidungerheblicher Beeinträchtigungen" (do no significant harm) berücksichtigt. Die Taxonomie basiert auf Leistung, sie hat sehr klare Schwellenwerte für CAPEX, OPEX (capital expenditure = Investitionsausgaben & operating expense = Betriebsausgaben) und Umsätze, aber sie konzentriert sich auch auf nicht-finanzielle Angaben. Viele Unternehmen, die für die Taxonomie in Frage kommen, müssen mit der CSRD** auch über soziale und ökologische Aspekte berichten. Kurz gesagt, die neuen Berichtspflichten und der europäische Rahmen sind ein guter Weg, um die Berichterstattung von Unternehmen und Investoren anzugleichen. Sie sollten auch Klarheit darüber schaffen, was als "nachhaltige Tätigkeit" eingestuft wird und in welchem Maße diese Tätigkeit innerhalb ihrer eigenen Kategorie als nachhaltig gilt. Die Taxonomie ist ein guter Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gibt es derzeit auch viele Probleme, die mit ihr verbunden sind. Zum Beispiel mussten Investoren bereits über die PAI (Principle Adverse Impact – negative Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren) ihrer Investitionen berichten, bevor Unternehmen überhaupt darüber berichteten. Die EU ist sich der Herausforderungen bewusst; sie hat mit zwei Zielen begonnen (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) und wird nun die restlichen vier Ziele zügig einführen müssen.

Tomorrow: Es scheint, dass die EU-Taxonomie unterschiedlich verstanden wird: für die einen ist sie dazu geeignet, die nachhaltigsten Unternehmen auch in kontroversen Sektoren aufzuzeigen; für die anderen sollte sich die Taxonomie darauf konzentrieren, die nachhaltigsten Industrien aufzuzeigen und kontroverse Sektoren auszuschließen, was auch der Standpunkt von Tomorrow ist. Was halten Sie von der Ergänzung kontroverser Sektoren in den Änderungen der EU-Taxonomie?

Alexander Bassen: Die Argumente für die Aufnahme von Kernkraft und Gas waren vor allem, dass wir die Gesellschaft nicht umgestalten können, ohne uns auf diese Sektoren zu stützen. Einige behaupten auch, es sei eine rein politische Entscheidung gewesen, was schade wäre, da die Plattform Sustainable Finance hart daran gearbeitet hat, die Taxonomie zu entwickeln: es wäre enttäuschend, wenn eine politische Entscheidung die bisher geleistete Arbeit der Plattform zunichte machen würde. Meiner Meinung nach sollten kontroverse Sektoren nicht von der Taxonomie berücksichtigt werden, da dies ein falsches Signal an alle Interessengruppen sendet.

Tomorrow: Gibt es auf dem Markt bereits Anzeichen dafür, dass die EU-Taxonomie den Anlegern hilft, fundierte Entscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zu treffen?

Alexander Bassen: Ich bin mir nicht sicher, ob sie den Anlegern per se hilft, aber sie beeinflusst ihre Entscheidungen. Der Druck von Vermögenseigentümer*innen (deren Geld investiert wird) auf Vermögensverwalter*innen (die das Kapital der Vermögenseigentümer*innen verwalten) nimmt zu, da die Vermögenseigentümer*innen keine Nachhaltigkeitsrisiken in ihrem Portfolio oder bei Vermögensverwalter*innen selbst sehen wollen. Fälle wie die DWS der Deutschen Bank, die im Oktober 2022 wegen Greenwashing-Vorwürfen verklagt wurde, zeigen, dass es eine allgemeine Bewegung gibt, die sich eingehender mit "nachhaltigen Anlagen", ihrer Definition und ihrer Berichterstattung befasst. Vermögenseigentümer*innen werden nicht weiter mit diesen Risiken spielen wollen.

Tomorrow: Im Jahr 2020 veröffentlichte die EU-Kommission die SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation), die von den Finanzakteur*innen verlangt, ihre Produkte je nach ihren Nachhaltigkeitszielen entweder als Artikel 9 (dunkelgrün), Artikel 8 (hellgrün) oder Artikel 6 zu kennzeichnen.

Der Fonds Tomorrow Better Future Stocks, der über die Tomorrow-App erhältlich ist, wurde im Oktober 2022 aufgelegt und ist mit Artikel 9 gekennzeichnet, da er nur in wirklich nachhaltige Unternehmen investiert. Wie sehen Sie den Unterschied zwischen diesen Labels?

Artikel 9-Fonds sollten einen Beitrag zu sozialen und/oder ökologischen Zielen leisten, während Artikel 8-Fonds lediglich einige ökologische oder soziale Merkmale berücksichtigen. Die EU-Kommission ist sich auch bewusst, dass es immer noch Missverständnisse über die Verwendung dieser Kategorien gibt, und arbeitet derzeit an einer genaueren Unterscheidung zwischen den Bedeutungen von Artikel 9 und Artikel 8.

Artikel 9-Fonds müssen auch angeben, welcher Anteil ihrer Beteiligungsunternehmen der Taxonomie entspricht. Da dieses Jahr das erste Jahr der Berichterstattung innerhalb dieses Rahmens ist, wird es interessant sein, zu sehen, wie Unternehmen über ihre Taxonomie-Anpassung berichten. Wir führen in diesem Jahr gemeinsam mit einem Partner eine Analyse durch, die uns Erkenntnisse darüber liefern wird, wie Unternehmen zum ersten Mal über ihre Taxonomie-Anpassung berichten.

Erfahre hier mehr über den Artikel 9 Fonds Tomorrow Better Future Stock und investiere in deine Zukunft.

Mehr erfahren

*Eine Initiative, die im Rahmen des britischen G7-Vorsitzes 2021 gegründet wurde und darauf abzielt, globale Investitionen in einen nachhaltigen Wandel zu lenken

**Die CSRD (EU-Richtlinie zur Unternehmens-Nachhaltigkeitsberichterstattung) ist eine obligatorische Berichtspflicht für große und börsennotierte europäische Unternehmen über Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen, wobei die ersten Berichte im Jahr 2025 veröffentlicht werden sollen